Ohne Worte.

Es muss jetzt mal gesagt sein: Wir reden nicht über Sex, und das ist verdammt schade. Ja, jetzt mal schön wundern: Was, wir sollen nicht über Sex reden? Wir, die wir so locker und frei sind? Lächerlich. Außerdem können wir doch offen sein: Hemmungen? Die hatten unsere Grosseltern. Über Sex zu reden, ist ja noch weniger als kein Tabubruch. Es ist der Standard. Alltag. Dass Sex gut und toll und wichtig ist und glücklich macht, das hat sich ja inzwischen auch im normativen Common Sense festgesetzt. In Frauenzeitschriften verknoten sich mit leichtem Strich hingefederte Figuren zu Tantrapositionen, die einem »den Himmel der Lust« und andere bescheuerte Orgasmuseuphemismen versprechen, auf YouPorn kommt jeder jederzeit zu Hardcorepornografie und kann sie anschließend benoten, die Werbung hat sowieso schon immer für alles die Beine gespreizt.

(Schwierigkeitsstufe Grün: Was ist der außergewöhnlichste Ort, an dem du schon Sex hattest?)

Und genau das ist der Punkt. Der Sex spricht ständig zu uns – draussen defiliert ununterbrochen die grosse Ärsche-Titten-Parade, und wir kommentieren sie auch manchmal, weil wir nicht anders können. Wir reden also über Sex. Beziehungsweise: über den schön gefönten Pudel von Sex, der uns ständig mit keck gerecktem coupierten Schwänzchen vorgeführt wird. Nur: Das, was da draußen passiert, ist vielleicht gar nicht der Sex, der uns treibt und aufreibt und interessiert. Das sind bloss Strippen, die gezogen werden.

Selbst wenn es um den Sex geht, der uns wirklich interessieren sollte, nämlich unseren eigenen, erzählen wir meistens nur herum, dass wir ihn haben oder wollen oder auch, dass er gut oder schlecht sei, aber genau in diesem Moment zeigt sich der frappierende Unterschied zwischen dem, was wir unter »über Sex reden« und dem, was wir unter »über jedes andere Thema reden« verstehen: Bei jedem anderen interessanten Thema denken wir weiter, versuchen, mehr Informationen zu bekommen, bei Sex haken wir meist nicht einmal mit einer simplen Warum-Frage nach. Alles, was wir also eigentlich ständig sagen, wenn wir vermeintlich über Sex reden, ist: dass es ihn gibt. Klar, das ist ein Fortschritt – vor einigen Generationen tat man ja noch einiges, diese Tatsache unter den Teppich zu kehren. Und doch: Wahnsinnsbilanz.

Die richtig interessanten Fragen? Die entscheidenden Details? Die bleiben genauso im Dunkeln wie die stillen Schäferstündchen unserer Grosseltern.

(Schwierigkeitsstufe Orange: Was für Sexspielzeug besitzt du?)

Wir nehmen die Videos von Paris Hilton und schauen, wie sie aussieht, wenn sie einen Orgasmus vortäuscht. Wir nehmen auch »Sex and the City«. Seit dieser TV-Serie gilt es als offiziell, dass Frauen, im Rudel unterwegs, den lieben langen Tag nichts anderes tun, als über Sex zu reden. Für Männer eine gruselig-geile Vorstellung (»Katja weiß also, dass ich einen krummen Penis habe?«), für Frauen eine Verhaltensnorm mehr und Anlass, sich über Freundschaften Gedanken zu machen, in denen das nicht passiert. (»Ich weiß nicht mal Melanies Lieblingsstellung. Vielleicht sind wir ja gar keine besten Freundinnen.«)

(Schwierigkeitsstufe Orange: Was ist deine Lieblingsstellung?)

Die Wahrheit indessen: WENN Freundinnen in der realen Welt über Sex reden, dann läuft es größtenteils genau innerhalb der Diskursgrenzen unserer vermeintlich offenen Gesellschaft ab: auf der Ebene, wo an Information bloß rauskommt, dass man eben Sex hat. Oder aber, möchte der Paar- und Sexualtherapeut Klaus Heer hier anfügen, sie reden über die schlechten Sachen. »Das Negative wird von Frauen viel öfter besprochen als das Positive.«

Klaus Heer hat es zu einem seiner Hauptforschungsbereiche gemacht, die sexuelle Sprachlosigkeit, die er bei seinen Klienten immer wieder antrifft, zu untersuchen, er schreibt ganze Bücher darüber (»WonneWorte«)  Und er hat bemerkt, dass unsere Kommunikation über Sex zutiefst unlogisch ist: »Da ist einerseits der Stammtisch, da ist das Ehebett, da sind die Medien«, sagt er. »In gewissen Situationen sind wir so geschwätzig, dann wieder total stockfischig, stumm und verklemmt.« Verklemmt meistens da, wo es drauf ankommt, glaubt Heer. Während Frauen also stänkern, prahlen Männer mit pornografischen Wunschträumen, es klinge klischiert, aber in der Essenz, ja, es sei nun mal so.

(Schwierigkeitsstufe Rot: Kann man bei Analsex auch nur durch die anale Stimulation kommen? Auch als Frau, so ohne Prostata?)

Gut, kann man da sagen, die Hauptsache ist ja, dass man mit dem Sexpartner über Sex redet. Dass man sagt, was gut kommt und was nicht. Und das ist heute ja wirklich selbstverständlich. Wer lässt denn etwas mit sich machen, das er nicht mag? Männer in der momentanen Post-Weichei-zurück-zur-Männlichkeit- Ära bestimmt nicht. Und welche Frau, die für stark gehalten werden will, sagt nicht von sich, sie gebe im Bett ganz klar den Tarif durch?

(Schwierigkeitsstufe Rot: Erlaubt dir deine Freundin, dass du ihr ins Gesicht spritzt?)

Eine Umfrage der Frauenzeitschrift »Elle« er brachte erst neulich, dass 69 % aller Deutschen Hemmungen hätten, Sexuelles zu besprechen, 61 % der Frauen und 46 % der Männer glauben außerdem, dass es die Romantik zerstöre, mit dem Partner über Sex zu reden. Immerhin 66 % zeigen sich aber mit der Hand, wie es richtig geht. Aber es ist ja wirklich nicht so einfach? Die erste Schwierigkeit liegt ja schon in der Sympathie für den Partner – wenn zum Beispiel ein Kerl denkt, es sei der Super-Special-Effect, den Kopf zu schütteln beim Lecken, dann meint er es ja trotzdem gut, und wenn man den Kerl sogar noch mag und er nicht reagiert, wenn man den Kopf behutsam schraubzwingenmäßig festklemmt, dann zögert man mitunter schon, was zu sagen, denn auch die sensibelste Formulierung wird ihn zumindest ein bisschen bloßstellen. Das gleiche in Rosa bei fehlinformierten Mädchen.

Ausserdem: Das im Bett soll ja schließlich kein Unterricht sein, sondern trieb- oder liebevolles, jedenfalls intuitives Handeln und Gehandeltwerden.

Heer weiss, dass es für den Anfang schon mal hilft, zwischen Reden über Sex und Reden beim Sex zu unterscheiden. »Ist halt wie im Konzert – man kann da ja auch nicht mittendrin aufspringen und rufen: Hallo! Viel zu laut! Oder so was. Nein, die Konzertkritik ist für nachher. Währenddessen sollte man vor allem die positiven Sachen kommentieren. Man muss langsam anfangen, die Sexualität zu vertonen.«
Wieso fehlt das Vokabular? »Man hat’s gern verhüllt, wenn’s um Sex geht. Wenn Sie wüssten, wie viele Ehepaare zu mir kommen, die nicht mal ein Wort für seinen Schwanz haben! Die reden dann von »da unten« oder »Schniedel«, wie Kinder, es ist zum Heulen! Und viele holen sich dann das notwendige Vokabular aus der ganz anderen Ecke, nämlich aus Pornos, und kommen dann der Frau holterdiepolter mit irgend- welchen Dirty-Talk-Ausdrücken – die müssen sich nicht wundern, wenn die sagt, hau ab, ich bin doch nicht deine Nutte.«

So. Weder also reden wir mit denen, die’s tat sächlich was angeht, wirklich über Sex, noch mit anderen Gesprächspartnern. Man muss sich nun fragen, ob das tatsächlich so schlimm ist. Ist es denn nicht so, dass Darüberreden den Akt entromantisiert, zu einer bloßen Leibesübung macht? Stumpft uns die ständige Beschäftigung mit dem Thema denn nicht ab? Ist der Übersexualisierung vielleicht irgendwann mit realem Sex gar nicht mehr beizukommen?

(Schwierigkeitsstufe Rot: Gibt’s bestimmte Stellungen, in denen du besonders schnell kommst?)

Und dann muss man diese Fragen ganz schnell und entschieden beiseitewischen. Denn: Sex ist wichtig, und das sollte gelebt und nicht bloß als zeitgeistige Gut- und Spaßmenschenhaltung zum Besten gegeben werden. Dafür, dass wir Sex so interessant finden, ist unsere Beschäftigung mit dem Thema, abgesehen von der Durchführung, ja schon verdammt stiefmütterlich. Schliesslich ist Bumsen das beliebteste Hobby der Welt! Es gibt wohl kaum etwas, das mehr Menschen auf der Welt freiwillig und mit einigem Vergnügen regelmässig tun – und normalerweise setzt man sich mit einem Hobby einigermaßen ernst haft auseinander, sammelt zielgerichtet Informationen, versucht, sich in dem Gebiet aktiv weiterzubilden.

Aufklärungsbücher mit nackten Hippiefamilien, siehe Dr. Sommer. Inzwischen hat das Internet diese Domäne komplett übernommen. Auf Foren kann man Fragen zu jedem nur erdenklichen Subfetisch stellen und findet Experten dafür. Das Wikipedia-Portal »Sexualität« ist so prall gefüllt mit abenteuerlichen Informationen, dass auch der sexuell Erfahrenste plötzlich merkt, dass er eben bloss erfahren und nicht gebildet ist auf diesem Gebiet.

(Schwierigkeitsstufe Rot: Ist es schwul, wenn ich als Mann Fantasien habe, es mal mit einem Mann zu treiben?)

Voilà! So kommt also jeder an das Wissen, das er will. Und das ganz ungehemmt und schamlos und schmerzfrei. Wir sind eh schon drauf und dran, das Leben, wie es eigentlich sein sollte, ins Virtuelle zu verlegen, weil dort alles viel leichter und einfacher und unpeinlicher ist. Aber wo kommen wir hin, wenn wir uns nicht mehr unserer Scham stellen müssen, wenn wir uns nicht mehr exponieren, wenn wir nicht mehr miteinander reden? Ein Computer als Vermittler beim zwischen menschlichsten Thema schlechthin? Wir dürfen uns nicht drumherum mogeln. Menschen müssen sich lausen wie die Affen. Wir müssen über Sex reden können. Wie sagte Wittgenstein? »Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.« Wir brauchen ein funktionierendes Lexikon, mehrere funktionierende Register, eins für im Bett, eins für mit Freunden, eins für mit dem Arzt. Sei das nun erotisches Zerfleischen à la Bataille, Pornosprech oder Lustblüte-Freudenstängel- Mutterisch. Chacun à son goût. Hauptsache, wir kriegen unsere Hemmungen so weit in den Griff, dass sie uns nicht mehr daran hindern, an die Informationen zu gelangen, die uns wirklich interessieren.

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