Pircing: Abschreckung oder Schönheitsideal?

Die Zeiten, in dem man mit einem Piercing allein eine Form der Rebellion gegen die Gesellschaft ausdrücken konnte, sind wohl vorbei. Denn ein Stecker im Ohr, im Bauchnabel, in der Nase oder in der Augenbraue lässt niemanden mehr schockiert aufblicken. Dazu muss man sich heute schon ein besonderes Piercing einfallen lassen.

Arten von Piercings gibt es unzählige: Apadravya, Labret, Hafada, Medusa … so viele verschiedene Piercing-Bezeichnungen wie Körperstellen, an denen man sich ein Piercing stechen lassen kann. Allein am Ohr kann man sich neun verschiedene Stellen piercen lassen. Und alle haben einen eigenen Namen. Vom Lobe, dem klassischen Piercing durch das Ohrläppchen bis zum Helix durch das Knorpelgewebe in der Oberkante des Ohrs. Dazwischen liegt dann irgendwo der Snug, der Conch, der Tragus oder der Rook, an diversen Muschel-Stellen und Knorpelfortsätzen der Hörorgans.

Noch vielfältiger sind die Piercing-Arten im Intimbereich. Ob horizontal oder vertikal, ob quer durch oder „nur“ durch die (Vor)-Haut, gestochen werden kann alles, was Haut hat, solange Mann oder Frau sich das antun will. Manch ein Anhänger erzählt hinterher begeistert von nie gekannten sexuellen Höhepunkten, die er erst seit dem Besitz des Piercings erreicht. Intimpiercing-abgeneigten Lesern hingegen beschert der Gedanke daran schon Schmerzen und lassen ihn unwillkürlich die Beine zusammenpressen. Doch der Schmerz gehört dazu, denn ein Piercing steht irgendwie auch für Mut. So ist es heute und so war es früher.

Piercing mit und ohne kulturellen Hintergrund. Im Lauf der Geschichte haben Menschen ihre Körper auf unterschiedliche Arten verändert und geschmückt, das Piercing nahm dabei eine wichtige Stellung ein. Von den nativen Stämmen Afrikas bis zu den hoch entwickelten Kulturen wie den Maja, konnten Piercings in verschiedensten Völkern nachgewiesen werden. Wer sich gepierct hat, war ein würdiges Mitglied der Gemeinschaft.

Besonders ausgefallen, weil besonders groß sind die Piercings einiger afrikanischer Stämme. Bei dem äthiopischen Volk der Mursi wird ein Loch in die Unterlippe gestochen und mit tellerförmigen Gegenständen aufs Extremste gedehnt, so dass die herabhängende Tellerlippe entsteht. Je größer der Teller, desto mehr Ehre kann die Frau erwarten und desto höher ist ihr Brautpreis. Manche Forscher sind sich sicher, das Piercing hatte ursprüngliche einen eher abschreckenden Sinn. Um die Frauen vor feindlichen Stämmen oder Sklavenhändlern zu schützen, wurden sie mit diesen gedehnten Lippen „verschandelt“. Im Lauf der Zeit entwickelte es sich zum Zeichen der Stammeszugehörigkeit und somit zum Schönheitsideal.

Auch in der westlichen Welt hat das Piercing eine Tradition. Im adligen Bereich gab es einige Tendenzen zu Intim- oder Brustpiercings. So soll der Gemahl von Queen Victoria, Prinz Albert (*1819) ein Intim-Piercing gehabt haben. Noch heute heißt das Piercing durch die Harnröhre an der Unterseite des Penis „Prinz Albert“. Auch den Römern wird nachgesagt, Brustwarzenpiercings getragen zu haben, doch das Piercing als Schönheitsideal setzte sich in westlichen Ländern nicht durch. Bis auf eine Ausnahme: Durchstochene Ohrläppchen und der Schmuck dazu gehören in den Augen vieler bei Mädchen einfach dazu. Oft wurden sogar schon kleinen Babys Ohrlöcher geschossen und Mädchen, die noch keine haben, können kaum erwarten, bis sie alt genug sind, Ohrringe tragen zu dürfen.

Für Punks war ein Piercing ein Zeichen der Gruppenzugehörigkeit und gleichzeitig eine Abschottung vom Mainstream. Sozialforscher sind sich sicher, dass Jugendliche damit auch ihren eigenen Inititationsritus schaffen, der in unserer heutigen Kultur verloren gegangen ist.

Der Übergang vom Kind zum Erwachsenen wird durch Rituale erleichtert, und wenn diese in der Kultur fehlen, werden sie eben geschaffen. Oft begleitet es den Träger durch einen gewissen Lebensabschnitt und wird irgendwann wieder abgenommen. Das Piercing lässt sich meist problemlos entfernen und zurück bleibt  – wenn alles sauber durchgeführt und nicht gedehnt wurde  – nur eine kleine Einstichnarbe. Das mag mit ein Grund sein, warum das Piercing heute so weit verbreitet sind.

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