“Ich schließe die Augen und hoffe kurz, dass er mit seinen warmen Lippen an meiner kalten Haut festfriert.”

Wann immer man gerade glücklich in einer Beziehung ist, begegnen einem die tollsten Menschen. Kann das Zufall sein? Und: Was macht man daraus?

Ich laufe die Straße herunter Richtung Zuhause. Die Nacht ist so kalt, dass mein Gesicht sich wie gefroren anfühlt. Eben war ich noch bei einer Freundin, in deren Wohnung sich angetrunkene Menschen über laute Musik hinweg Gespräche in die Ohren brüllten. Jetzt läuft neben mir Jan, der den gleichen Rückweg hat. Seit ich ihn vor einer halben Stunde in der Küche der Wohnung kennen gelernt habe, macht mir der Abend ziemlich schlechte Laune. Denn Jan wirft in meinem Gefühlsleben alles durcheinander, was ich eben erst so schön sortiert hatte. Ich schaue auf meine Füße und sage mir im Takt meiner Schritte: Ich. Habe. Einen. Freund. Und. Er. Ist. Toll. Dann werfe ich einen Seitenblick auf Jan und zucke zusammen. Es ist körperlich anstrengend, wie gut er mir gefällt.

Als Kind habe ich mich mal in einem Elektrozaun am Ententeich verfangen, das hat sich ziemlich ähnlich angefühlt. »Wo war der vor einem halben Jahr, als von meiner Haustür bis zum Horizont nur öde Gestalten zu sehen waren?«, frage ich mich stumm. Es scheint ein Gesetz zu geben: Wer mit unruhigem Blick und Sehnsucht im Herzen durch Stadt und Land rennt, trifft nur Deppen und hohle Früchtchen. Aber sobald man wunschlos glücklich ist, stolpern täglich die großartigsten Menschen in einen hinein, garantiert. Okay, das kommt wohl auch daher, dass die Person, der man sein Herz geschenkt hat, einen Schub Geschwister, Mitbewohner und beste Freunde mitbringt, die auch nicht gerade langweilig sind. Aber es muss mehr dahinterstecken. Denn auf einmal sprechen mich Menschen auf Partys und an Bushaltestellen an, als würden sie Geld dafür bekommen. Vielleicht, überlege ich, liegt es daran, dass zufriedene Menschen einfach anziehender sind. Ich halte mich ja auch von Jungs mit allzu hungrigen Blicken fern. Das wirkt so verzweifelt, als würden sie wahllos jede nehmen, die nicht gerade zwei Köpfe oder ein riesiges Gang-Tattoo im Nacken hat.

Da steckt mal wieder ein riesiger Konstruktionsfehler im unsichtbaren Regelwerk des Universums. Das ist so, als dürfte man Supermärkte nur dann betreten, wenn man keinen Hunger hat und auch sonst nichts braucht. Und genauso, wie einen die eingelegten Oliven an der Antipastitheke dann doch anmachen, bringt mich Jan jetzt durcheinander. Ich unterdrücke ein Seufzen und denke: »Immer diese verdammten Zweifel. Sobald ich mich für etwas entschieden habe, bekomme ich das Gefühl, ich hätte mich geirrt

Manchmal wünschte ich wirklich, mir würde eine Junge über den Weg laufen, der mich mit solcher Macht umwirft, dass andere überhaupt nicht mehr in Frage kommen. Nur habe ich den Verdacht, dass das nie von selbst passieren wird. Vielleicht will ich niemanden so stark, wie ich das gern hätte, weil ich zu sehr an perfekte Liebe glaube. Aber was ist schon perfekt?

Jan bleibt vor einer Haustür stehen. »So, hier wohne ich«, sagt er. Ich sehe ihn an und frage mich, was ich tun würde, wenn ich jetzt sofort entscheiden müsste, ob ich mein ganzes Leben mit ihm verbringen will. Er klimpert mit den Schlüsseln in seiner Tasche. Ich krächze: »Gute Nacht.« Er zögert und gibt mir dann einen Kuss auf die Wange. Ich schließe die Augen und hoffe kurz, dass er mit seinen warmen Lippen an meiner kalten Haut festfriert.

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