Lasst sie heulen!

Achtung, liebe Leser mit Liebeskummer, dieser Text ist nicht für euch. Er ist für eure beste Freundin, euren Bruder, eure Mitbewohner oder für den entfernten Bekannten, der euch im falschen Moment über den Weg läuft und über den ihr eure ganze Verzweiflung ausgießt, weil sonst gerade niemand da ist. Ihr könnt hier aufhören zu lesen, euch wieder ins Bett verkriechen, Coldplay oder Johnny Cash hören und warten, bis es besser wird. Für euch nur so viel: Es wird besser, wirklich!

So, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Brüder und Schwestern, jetzt, wo wir unter uns sind: Ja, es ist wirk lich kaum auszuhalten, sich dasselbe Gejammer immer und immer wieder anzuhören. Klar, die Exfreundin eures verlassenen Freundes war nicht die tollste Frau der Welt. Ja, eure Freundin sollte froh sein, dass sie den Typen endlich losgeworden ist, der ihr nie richtig zugehört hat. Alle wissen es, jeder sieht es so – bis auf den Patienten. Und genauso muss man den Menschen mit Liebeskummer sehen. Er ist ein Patient, der leider nicht ins Krankenhaus gehen kann und dem auch keine Pillen helfen. Da müsst ihr ran, ob ihr wollt oder nicht. Dafür braucht es Geduld und gute Nerven. Ihr müsst immer daran denken: Es erwischt jeden, irgendwann. Je besser ihr eure Aufgabe also erledigt, umso höher die Chancen, dass euch irgendwann geholfen wird.

Um aber richtig helfen zu können, muss der Patient erst mal diagnostiziert werden. Ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt, ist dabei nicht so entscheidend. Experten zufolge leiden Frauen länger und Männer intensiver, aber nicht grundsätzlich anders. Und an der Intensität ist vor allem schuld, dass sie ungern über ihren Liebeskummer sprechen, weil sie ihn mit Schwäche gleichsetzen.

Das Problem ist, dass Worte auf den Verstand zielen, und der ist leider nicht allein dafür zuständig, wie wir mit Liebeskummer klarkommen, erklärt Thomas Lewis, Psychologe an der University of California in San Francisco: »Worte, gute Ideen und Logik bedeuten für zwei der drei Gehirnteile gar nichts.« Unser Intellekt befindet sich im sogenannten Neokortex. Emotionen werden aber im limbischen System verarbeitet, das mit dem Verstand nicht ansprechbar ist. Den Puls steuert wieder der Hirnstamm. Das Reden bringt also etwa so viel wie Schwimmflügel im Treibsand. Es müssen auch Taten her.

Ist der Patient jung, zwischen 15 und 25 Jahre, ist er vermutlich ernsthaft davon überzeugt, den Vorgang nicht zu überleben. Die Trennung trifft ihn wie ein harter rechter Haken, und wie bei einem ersten K.o. empfindet der Patient den unvermittelten Bewusstseinsverlust als Nahtoderfahrung. Schlimmer als die Schlagwirkung ist die Erkenntnis, wie hart man überhaupt getroffen werden kann, wie schnell einem der Boden unter den Füßen wegfliegt.

Kummer ist so groß, wie derjenige ihn empfindet, der ihn hat. Also bringt es nichts, dem Patienten fortwährend klarzumachen, dass er sich noch ganz oft verlieben wird. Auch Scherze wie »von der unerwiderten Liebe zu Robbie Williams hast du dich doch auch erholt« dienen nur der eigenen Belustigung. Über den ersten, den großen Schock hilft man dem Patienten am besten mit Ablenkung hinweg. Kino, Sport, Urlaub. Vor allem, wenn es noch keine regelmäßigen Verpflichtungen im Leben gibt, die ihn davon ab- halten, sich in der Herzkammer einzuschließen, die mit Postern des geliebten Menschen zugepflastert ist, der leider nicht mehr wiederkommen wird. Zwischen 25 und 35 wird der Schock kleiner, aber der Kummer größer. Die zerbrochene Beziehung war meistens länger als die Liebesversuche, die man mit zwanzig unternommen hat. Man hat die erste Aufregung gegen Stabilität und Vertrauen getauscht, gemeinsame Urlaube unternommen, Hochzeiten besucht, eine Wohnung eingerichtet. Man hat sich gegenseitig zum Zeugen des eigenen Lebens gemacht. Mit dem Partner geht ein Stück von einem selber verloren. Patienten in diesem Alter neigen dazu, den Kummer mit einer gewissen Abgeklärtheit vorzutragen – es passiert ja nicht zum ersten Mal. Doch kaum dreht man ihnen den Rücken zu, tippen sie SMS oder winseln nachts vor gekippten Fenstern um Aufmerksamkeit, während drinnen der Expartner dem neuen Partner erklären muss, warum er die Person, die auf der Straße steht, jemals geliebt hat. Diese Patienten sollte man möglichst lückenlos beobachten und zur Not auch ein paar Nächte bei sich auf der Couch beherbergen. Meistens ist ihnen allerdings nur durch eine neue Liebe zu helfen, und das kann sich ein Weilchen hinziehen.

Ab Mitte dreißig sollte Routine einsetzen. Man hat schon große und kleinere Trennungen hinter sich gebracht, kennt die Sprüche auswendig, mit denen man getröstet werden soll. Vielleicht ist man mit einem Expartner mittlerweile befreundet und hat ge lernt: Es geht nicht alles verloren, wenn man es erträgt, mit weniger zufrieden zu sein. Kurzum: Es gibt Trost und Erfahrung, und der Liebeskummer müsste leichter zu kurieren sein. Leider ist das Gegenteil der Fall: Alles wird nur schlimmer. »In diesem Alter macht man sich Lebenspläne«, wie die Liebeskummerexpertin Silvia Fauck  erklärt, »und die werden mit der Beziehung zerstört.« Alle Träume von gemeinsamen Kindern, Aus wandern nach Trinidad oder einem Haus am See lösen sich in nichts auf. Der Flüchtende nimmt nicht nur die Liebe, sondern auch die Hoffnung mit.

Diese Patienten sind schwer zu trösten und schwer zu ertragen. Wenn sie nicht das Leiden Christi nach spielen, vergiften sie ihr Umfeld mit einer Mischung aus Trotz und Zynismus. Frischverliebte werden belächelt (»Klar, das hält bestimmt ewig!«), zukünftige Partner abgewertet, bevor sie überhaupt auftauchen (»So intensiv lasse ich mich nie wieder auf jemanden ein«). Hier hilft nur Stoizismus und eine klare Strategie. Einerseits muss man immer neue Formen finden, das Gleiche zu sagen, weil der Patient die ganzen Sprüche bereits kennt. Andererseits den Patienten dazu bringen, die Dinge, die er sich in der Beziehung verkniffen hat, nun entschieden umzusetzen. Er muss sich einen eigenen Plan machen, nachdem der gemeinsame verschwunden ist.

Da der Liebeskummerpatient nach jeder Hoffnung greift wie der Ertrinkende nach der Kehle des besten Freundes, muss man grundsätzlich hart eingreifen. Hoffnung machen ist Zeitverschwendung – damit verschafft man sich nur kurzfristig selber Luft. »NEIN, er kommt nicht mehr zurück.« »NEIN, es ist auch nicht wahrscheinlich, dass ihr irgendwann wieder zusammenkommt, wenn doch, können wir uns ja überraschen lassen.«

Das Brutale daran: Je schlimmer es den Patienten erwischt hat, umso klarer muss man vorgehen. Grob gesagt gibt es drei Leidenstypen, und der Ärmste ist der, den wir am härtesten behandeln müssen.

Typ 1: Der Junkie
Dieser Typ ist der ärmste. »Das sind diejenigen, die nichts haben kommen sehen und plötzlich vor dem Aus stehen«, sagt Silvia Fauck. Menschen, die sich verlieben, zeigen Regungen wie Drogenabhängige, das hat die US-Anthropologin Helen Fisher in einem Feldversuch belegt. Sie hat Verliebte in den Kern spintomografen geschoben und ein Bild des Partners gezeigt. Die Probanden zeigten Hirntätigkeiten, als hätten sie gerade Kokain geschnupft. Man kennt das aus dem Alltag: die kribbelnde Vorfreude, den anderen zu sehen, das erlösende Gefühl, wenn es so weit ist. Dopamin wird ausgeschüttet, der Botenstoff der auch Rauchern ein gutes Gefühl verschafft, wenn sie sich nach einer langen Flugreise endlich eine Zigarette anstecken dürfen.

Leider lässt diese Erkenntnis einen klaren Rückschluss zu: Verlassene sind wie Junkies auf Entzug. Vor allem, wenn der Verlassene die Liebe noch voll gespürt hat und nicht begreifen will, warum es jetzt vorbei ist, zeigt er alle Symptome, die auch ein Junkie in Beschaffungs not zeigt. Er sucht jede kleine Gelegenheit, Kontakt herzustellen. Dafür würdigt sich der Patient auch herab, besucht Partys, auf denen klar ist, dass es zu einer Konfrontation mit dem Expartner kommt, fragt gemeinsame Freunde bis zur kleinsten Kleinigkeit nach dem anderen Menschen aus, wimmert dessen Mail box voll, wenn er nicht zurückgerufen wird. Selbst wenn die Beziehung vor der Trennung nicht mehr gut war, wird nun plötzlich alles in leuchtenden Farben erinnert.

Was hier hilft, ist rigoroser Entzug. Der Patient muss trockengelegt werden, so konsequent und lückenlos, wie es nur geht. Handynummern löschen, Fotos verbrennen, notfalls gemeinsam gekaufte Gegenstände entsorgen. Das Bild der Dämonenvertreibung ist hier nicht zu düster gemalt und kein Mittel zu drastisch. Denn mit jedem noch so kleinen Rückfall beginnt der Entzug von neuem. Außerdem muss man solche Patienten genau beobachten: Diese Form des Liebeskummers ist so gewaltig, dass sie reale Krankheiten nach sich ziehen kann. Depressionen, Angstzustände, Panikattacken bis hin zum Herzinfarkt. »Broken-Heart-Syndrom« nennen es die Mediziner, und das hört sich niedlicher an, als es ist.

Typ 2: Der sich selbst verflucht
Das Ausmaß des Leidens bei diesem Typus kann von gekränkter Eitelkeit bis zu totalem Kontrollverlust reichen. Die Konstellation ist entscheidend, denn der Liebeskummer wird nicht dadurch ausgelöst, dass man einfach verlassen wurde, sondern durch das eigene Verhalten.

Wenn man beispielsweise eine Affäre angefangen hat, obwohl man in einer Beziehung ist. Selbst wenn man sie beendet und sich besser fühlen sollte (weil das Gewissen befreit wird), fühlt man sich furchtbar – weil man Liebeskummer hat und nicht mit dem Menschen, der einem sonst am nächsten steht, darüber reden kann. Silvia Fauck kennt diesen Typus vor allem bei Männern, die über ein oder zwei Jahre eine Affäre neben ihrer Beziehung führen, aber zu schlaff sind, das eine oder das andere zu beenden. Irgendwann werden sie erwischt, oder die Geliebte hat die Schnauze voll und verlässt sie. Alles ist kaputt und der Patient auch noch selbst schuld daran.

Andererseits muss irgendwo unter dieser Unentschiedenheit auch die Erkenntnis begraben sein, dass es weder mit dem Partner noch mit der Affäre für eine gemeinsame Zukunft gereicht hat. Und mit dieser Erkenntnis lässt sich doch zumindest arbeiten.

Typ 3: Der chronisch Kranke
Vor allem in der gefährdeten Altersgruppe der 30- bis 40-Jährigen gibt es Dauerpatienten, die im Grunde durchgehend im Ausnahmezustand sind. Entweder verliebt oder traurig. Da mit einer zerbrochenen Beziehung auch die gemeinsamen Pläne verschwinden, macht man sich selber welche – und in die muss sich ein neuer Partner einfügen. Das tut er aber meistens nicht. Männer wittern, wenn die 36-Jährige, die auf Vollblutschlampe antäuscht, noch zwei Kinder haben will, kaum getarnt die berufliche Vita abfragt und es schon als schlechtes Zeichen für eine gemeinsame Zukunft wertet, wenn die Schuhe farblich nicht mit der Krawatte abgestimmt sind. Frauen wiederum ahnen, dass etwas im Argen liegt, wenn er Samstagnachmittag nicht zu einem Spaziergang bereit ist, weil er mit seinen Kumpel Fußball gucken muss. Seine Freunde sind ihm wichtiger – immerhin haben sie ihn seit der Schulzeit nicht verlassen.

Diese Patientenform hat eigentlich keinen Liebeskummer, sondern Kummer mit der Liebe. Die Ansprüche steigen, die Kompromissfähigkeit nimmt ab, mit jeder neuen Trennung fühlt man sich mehr wie ein beschädigtes Spielzeug, das keiner mehr haben will. Die gekränkte Eitelkeit, die unter dem Trauerflor hervorlugt, ist einer der Hauptgründe für ein mieses Selbstwertgefühl nach der Trennung. Nicht gewollt zu werden, egal wie gut die Gründe sind, wirkt wie eine Penispumpe zum Geburtstag. Diesem Patienten ist am leichtesten über die Trennung hinwegzuhelfen. Hier sollte man eher bremsen, wenn der neue Partner zu schnell vor der Tür steht.

Der einzige Nutzen der sich aus der Zeit ziehen lässt, die man auf diese Weise durchleiden muss: Liebeskummer ist ein schlechtes Gefühl, aber ein guter Motivator. Gedichte schreiben, Lieder singen, das Heiligenbildchen aus der Auslage eines italienischen Restaurants stehlen, das mal »unser Lokal« war – der Überschuss an Gefühlen befeuert manchmal Fähigkeiten, die sich ausbauen lassen, wenn das Schlimms te vorbei ist. Patient und Betreuer lernen also eine Seite kennen, die womöglich schon lange darauf drängte, ans Licht zu kommen.

Und, liebe Patienten, Liebeskummer und trotzdem bis hierhin gelesen? Und in keiner der Zeilen etwas gefunden, was hilft, weil bei euch alles ganz anders ist? Wie eingangs geschrieben: einfach wieder im Bett einrollen, Musik anmachen und das Heft demjenigen hinlegen, der einem gerade am nächsten ist. Und: Viel Glück.

PS: »Liebeskummer lohnt sich nicht my Darling« ist der dümmste Song der Welt.
PPS: »Andere Mütter haben auch schöne Söhne/ Töchter« ist der dümmste Spruch der Welt

PPPS: Es wird besser, wirklich!

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